„Lingener Serenade“ – Entstehungsgeschichte
Jedes Jahr, zum 1. Advent reist das Bachorchester Leipzig nach Lingen zu einem Weihnachtskonzert in das Kulturforum „Sankt Michael“. Ralf Schippmann (Solo-Oboist im MDR Sinfonieorchester) musiziert dabei als Stammgast auf seiner Oboe Werke des Barock und der Klassik. Nach dem Konzert wird dann das Programm für das Folgejahr besprochen.
„Ich weiß dieses Mal nicht, was ich im nächsten Jahr blasen soll“, sagt Ralf Schippmann zu mir, „alle Oboenkonzerte haben sie schon gehört, manche schon mehrmals“! Spontan sagte ich, da schreibe ich eben mal was „Neues“! Bei dem Gedanken an neue Musik bekommen Musiker sofort Magen-verstimmung! Das muss ja nicht sein, ich schreibe gerne für ein Publikum, was ich kenne! Es muss eine Musik sein, die dem Lingener Publikum gefällt! Das sind keine Konzertgänger im klassischen Sinn, das sind Leute, die sich einmal im Jahr zu einem vorweihnachtlichen Kunstgenuss treffen.
Meine Idee gefiel sowohl dem Oboen-Solisten als auch dem künstlerischen Leiter des Bachorchesters Leipzig, Prof. Christian Funke. Auch ein Kompositionsauftrag des Kulturforums Lingen ließ nicht lange auf sich warten.
Als erstes war für mich die Formfrage interessant. Ich hielt die Form der Serenade für passend, da ich dem Auftraggeber und Unterstützer des Kulturforums Lingen, Herrn Dipl. Ing. Harald Müller mit dieser Komposition für sein Engagement danken wollte. Der Titel „Lingener Serenade“ fordert natürlich einen engen Bezug zu Lingen. So nehmen die Überschriften der Sätze direkt Bezug auf diese Stadt und ihre Umgebung.
Im ersten Satz treten „Kievelinge“ auf. Die Kievelinge waren junge unverheiratete Männer, die im 14. Jahrhundert die Festung Lingen vor einem kriegerischen Überfall bewahren sollten. Das Heer war durch die vielen Kämpfe sehr stark dezimiert. Noch heute treten „Kievelinge“ bei den Lingener Volksfesten in historischen Kostümen auf.
Der Suite – artige Charakter meiner Serenade wird fortgesetzt durch eine ruhige Wanderung durch die Ems-Aue. Formal ist es ein Blues – eben jazzig!
Der 3. Satz mit der Überschrift „Lingener Weg“ bezieht sich auf Eindrücke unterschiedlichster Art beim Spazierengehen durch Lingen.
„Chill out“ in Hanekenfähr! – (4. Satz):
Hanekenfähr ist ein Zusammenschluss dreier Wasserläufe, ein Kleinod für Erholungssuchende mit Gaststätten, Rad- und Wanderwegen. Musikalisch ein „Rausschmeisser“ im Dreiviertel-Takt.
Im Vorfeld der Uraufführung (30.11.2014) wurde die Komposition der „Lingener Serenade“ intensiv beworben. Der NDR schnitt das Konzert live mit und nicht nur die lokale Presse vor Ort, war verzückt…
Die Überreichung der Partitur an Herrn Müller, dem ich diese Serenade gewidmet habe, war ein großes Ereignis.
Kurzum, die 1. Aufführung meiner Serenade mit Ralf Schippman als Solo-Oboist und dem Bachorchester Leipzig unter der Leitung von Prof. Christian Funke war ein Riesenerfolg. Durch die nicht enden wollenden Ovationen des Publikums, wurde der 1. Satz als Zugabe wiederholt.
Was mir noch nie passiert ist, beim nachfolgendem Empfang sangen die Konzertgäste pausenlos den musikalischen Ureinfall des 1. Satzes. Und ich erinnere mich, beim ersten Niederschreiben dieses Einfalles meine Frau gefragt zu haben: „Kann ich diesen trivialen Einfall überhaupt verwenden“? Der Erfolg gab dem Zureden meiner Frau Recht.
Von nun an wird regelmäßig im Konzert zum Jahrestag, auf Verlangen des Lingener Publikums der 1. Satz als Zugabe gespielt! Und jedes 2. Jahr wollen die Lingener „Ihre Serende“ im Ganzen hören!
Im Lingener Kulturforum hängt seit der UA eine große Erinnerungstafel mit Pariturausschnitten und der Widmung an Herrn Müller.
Nun wünsche ich als Schöpfer dieser Noten, dass auch andere Oboisten Spielfreude an dieser Musik entdecken. Sie ist der Oboe auf den Leib geschrieben.
Rainhard Leuscher, im April 2019